26.02.2024 | 11:27:00 | ID: 38889 | Ressort: Landwirtschaft | Wissenschaft & Forschung

Bioethanol aus der Bäckerei

Hohenheim (agrar-PR) - Backwaren zählen zu den am häufigsten weggeworfenen Lebensmitteln. Im Bundesgebiet gibt es rund 11.000 überwiegend kleine und mittelständische Bäckereibetriebe, bei denen geschätzte 600.000 Tonnen Backwaren jährlich als Retouren und Reste anfallen.

Viele Bäckereien versuchen diese Produkte wiederzuverwenden: als Tierfutter, Hackschnitzel oder in Biogasanlagen. „Retouren stellen jedoch kein einheitliches Ausgangsmaterial dar. Das verträgt sich beispielsweise nicht mit den strengen Fütterungsplänen in der Schweinemast“, erklärt Hannes Weber, Geschäftsführer von Webers Backstube, bekannt als Fernsehbäcker aus dem SWR-Fernsehen und Initiator des Projektes „Die Brotbrennerei“. „Daher sind diese Recyclingmethoden mit aufwendiger Sortierung von Hand, langen Transportwegen und somit zusätzlichen Kosten verbunden.“

Bäckereibetriebe müssen Altbackwaren als Abfall entsorgen
 
Viele Bäckereibetriebe müssen ihre Altbackwaren deshalb als Abfall entsorgen, der in der Regel verbrannt wird. Allein in Webers Backstube fallen so jährlich rund 15.000 Euro Entsorgungskosten an. Seine Idee: Warum nicht aus dem Abfall Bioethanol machen? Geschätzte 162 Mio. Liter könnten in Zukunft jährlich aus den Altbackwaren in Deutschland entstehen.
 
Ziel ist eine erneuerbare Kraftstoffquelle zu schaffen. Bislang wird Bioethanol in erster Linie aus landwirtschaftlichen Nutzpflanzen wie Mais, Weizen und Zuckerrohr hergestellt. Doch die Verwendung dieser Pflanzen als Rohstoffe für die Kraftstoffherstellung konkurriert mit der Produktion von Lebensmitteln.
 
Der lange Weg vom Brot zum Alkohol
 
Die Forschungs- und Lehrbrennerei der Universität Hohenheim klärte zunächst eine grundsätzliche Frage: Kann Brot überhaupt vergoren werden? Denn für Produktion von Bioethanol braucht es einen alkoholhaltigen Ansatz.
 
Für diese sogenannte Maische wird Getreide mit Wasser, Hefe und Enzymen versetzt. „Brot enthält erhebliche Mengen an Stärke. Sie wird von speziellen Enzymen leicht in Zuckermoleküle zerlegt, die die Hefe dann in Alkohol umwandelt“, erklärt Dr. Daniel Einfalt von der Forschungs- und Lehrbrennerei.
 
Hefe braucht Proteine

Doch ganz so einfach gestaltete sich der Prozess nicht. Als die Forschenden untersuchten, wie gut sich typische deutsche Backwarenreste vergären lassen, erlebten sie eine Überraschung: Ausgerechnet das Brot mit dem höchsten Stärkeanteil, das Weißbrot, blieb bei der Alkoholproduktion deutlich unter den anderen Ausgangsprodukten wie Brötchen, Laugengebäck, Roggenbrot oder Sahne-Cremetorten.
 
„Wir führen das auf den geringen Proteingehalt des Weißbrotes zurück“, so Dr. Einfalt. „Denn die Eiweiß-Bausteine sind unerlässlich für die Aktivität der Hefe.“ Abhilfe bringt der Zusatz von Gärsalzen, die die Hefe vor allem mit Stickstoff und Phosphat versorgen: Dadurch wird die Gärzeit verkürzt bzw. der Ethanolertrag erhöht.
 
Trotzdem befindet sich in dem Destillationsrückstand, der Schlempe, immer noch viel Protein. „Langfristig möchten wir sie als Tierfutter nutzen, aber da müssen wir noch ein paar Hürden überwinden“, so Hannes Weber. „Aktuell wird sie in Biogasanlagen zur Energieerzeugung genutzt. Ihr Rückstand kommt wiederum als Dünger aufs Feld.“ Womit sich der Kreislauf schließt.
 
Optimierung des gesamten Verfahrens

Um die Ideen in die Praxis umzusetzen, kam ein weiterer Projektpartner ins Spiel: Das Technologie-Transfer-Zentrum Bremerhaven (ttz Bremerhaven) erarbeitete ein eigenes Energie-Konzept. So wird die Wärme für den Prozess primär über Strom aus der Photovoltaikanlage auf dem Dach der Bäckerei bereitgestellt. Innerhalb des Prozesses wird möglichst viel Wärme zurückgewonnen, so zum Beispiel aus der Schlempe oder aus dem Kühlwasser der Brennerei.

„Weitaus schwieriger war es einen Anlagenbauer zu finden“, berichtet Hannes Weber. „Wir freuen uns, dass wir die Firma Müller Brennereianlagen gefunden haben, die die Apparate- und Brennereitechnik individuell auf das Projekt zugeschnitten und viel Input geliefert hat.“
 
Aktuell: Kostendeckender Betrieb – Langfristig: Spirituosen als Zusatzeinnahme

Aktuell arbeitet die Brotbrennerei in Friedrichshafen mit ihrem 2.000 Liter fassenden Maische-Behälter kostendeckend, auch wenn die Markt-Preise für Bioethanol derzeit niedrig sind. Höhere Erlöse könnte die Destillation von Altbackwaren erbringen, wenn daraus aromatische Spirituosen für den menschlichen Genuss entstehen.

„Das scheitert im Augenblick noch am EU-Recht“, erläutert Dr. Einfalt. „Darin ist die Destillation von Brot und anderen Backwaren nicht vorgesehen. Aber das Gesetzgebungsverfahren läuft bereits.“
 
Beratungsangebote – Pilotprojekt für den Mittelstand

Noch ist die Brotbrennerei in Friedrichshafen ein Pilotprojekt, das möglichst viel Nachahmung finden soll. Dazu erarbeiten die Projektbeteiligten Handlungsempfehlungen, die sie als Beratungs- und Entwicklungsleistungen für künftige Betreiber:innen solcher Produktionsanlagen anbieten wollen. Hannes Weber schätzt, dass sich solche Anlagen für mittlere Betriebe mit rund fünf Mio. Euro Umsatz im Jahr rentieren. Gefördert wird das Projekt über das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK).
 
HINTERGRUND: Bioökonomie an der Universität Hohenheim

Bioökonomie ist das Leitthema der Universität Hohenheim: Von der Züchtung über die nachhaltige Produktion biobasierter Rohstoffe bis zur Herstellung und Vermarktung von Produkten oder Dienstleistungen werden alle relevanten Themen der Bioökonomie in Forschung und Lehre abgedeckt. Für ihre Produkte, Verfahren und Dienstleistungen nutzt die Bioökonomie biologische, chemische und physikalische Umwandlungsprozesse im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft. Durch innovative Technologien können so biologische Stoffe und Prozesse besser genutzt werden, um in Zukunft zunehmend auf fossile Rohstoffe wie Kohle oder Erdöl verzichten zu können.
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