Leipzig (agrar-PR) -
Einkommensunterschiede spiegeln sich auch in der Möglichkeit zum Naturerlebnis in einer deutschen Stadt wider Die ungleichmäßige Verteilung urbaner Biodiversität spiegelt die sozio-ökonomischen Gegebenheiten in der Stadt Leipzig wider. So ist die Vogelartenvielfalt in sozial schwächeren Gebieten oft geringer als in Gebieten mit überdurchschnittlich hohem Einkommen der Bevölkerung. Diese Einsicht gewannen Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) durch eine Untersuchung zur Brutvogelverteilung in Leipzig. Für ihre Studie hatten sie die Anzahl der Vogelarten mit Daten zur Landnutzung, Einwohnerdichte, Haushaltsgröße, Durchschnittsalter, Wohnungsleerstand und Durchschnittseinkommen der Bevölkerung verglichen. Wie die Wissenschaftler im Fachblatt "Ecology and Society" schreiben, existiert die größte Vielfalt an Vogelarten häufig in den Stadtgebieten, deren Einwohner gleichzeitig ein höheres Durchschnittseinkommen beziehen. Diese Gebiete sind durch große Anteile von qualitativ hochwertigen Grünflächen charakterisiert. Aus diesem Grund sollten Stadtplaner in eher benachteiligten Stadtteilen mehr Anstrengungen zur Verbesserung der Grünflächen in Qualität und Quantität unternehmen. Dadurch kann zu einer Erhöhung der Biodiversität beigetragen werden und damit allen Stadtbewohnern gleichermaßen Naturerlebnisse ermöglichen.
Die Vielfalt an Vogelarten ist für die Wissenschaftler ein Indikator,
um die ökologische Qualität von städtischen Grünflächen zu bewerten.
Eine Reihe von Studien
weist bereits darauf hin, dass ein positiver Zusammenhang zwischen
artenreichem städtischen Grün und der Gesundheit der Bewohner besteht.
Für ihre Studie untersuchten die Wissenschaftler vom UFZ die Anzahl
der Brutvogelarten in einem Radius von 500 Metern rund um Wohnstandorte.
Wie viele Vogelarten
Leipzigerinnen und Leipziger tatsächlich an ihrem Wohnort wahrnehmen
können, hängt vor allem vom Wohngebiet ab: Je nach Stadtviertel leben im
betrachteten Radius
zwischen 12 und 73 Arten. Besonders wenige Vogelarten gibt es im
Leipziger Osten in den Stadtteilen Volkmarsdorf und
Neustadt-Neuschönefeld sowie im Westen in der
Plattenbausiedlung Grünau. "Die meisten Arten können die Bewohner
dagegen in den zentraler gelegenen nord- bis südwestlichen Bereichen der
Stadt, beispielsweise in
Schleußig oder im Waldstraßenviertel erleben", wie Michael Strohbach vom
UFZ erläutert. "Dort befinden sich mehr und hinsichtlich der
ökologischen Bedeutung
qualitativ höherwertigere Grünflächen als in anderen Teilen der Stadt.
Dazu kommt noch, dass diese Viertel nahe am sehr artenreichen Leipziger
Auenwald liegen."
Bereits in den 1980er Jahren hatten Wissenschaftler festgestellt, dass
Leipziger Villenviertel wesentlich mehr Pflanzenarten enthalten als
Plattenbauviertel
(insgesamt 212 gegenüber 139).
Zwei Drittel der Leipziger leben in Gebieten, in denen die Vielfalt
an Brutvögeln in der Nachbarschaft unter dem Leipziger Durchschnitt
liegt. Dies ähnelt der
Situation in anderen bereits untersuchten Städten. Nordamerikanische
Wissenschaftler hatten vor wenigen Jahren festgestellt, dass
Stadtviertel mit höherem sozialen
Status häufig auch durch eine höhere Artenvielfalt gekennzeichnet sind
als Viertel mit niedrigerem. "Die Ähnlichkeit mit Leipzig ist
überraschend, da die
Unterschiede in Lebensstil, Einwohnerdichte und Bebauung im Vergleich zu
Nordamerika erheblich sind", berichtet Dr. Dagmar Haase,
Wissenschaftlerin am UFZ und
Professorin für Landschaftsökologie an der Humboldt Universität Berlin.
Brachflächen machen momentan etwa drei Prozent der Stadtfläche aus,
daher hat Leipzig ein großes Potenzial zur Entwicklung von Grünflächen.
Dieses Potenzial wird
bereits zum Teil im Rahmen des Stadtumbaus im Leipziger Osten und Westen
genutzt. Gleichzeitig müssen aber auch existierende Naturräume effektiv
geschützt werden.
Die Aufwertung von Stadtteilen durch eine hohe Artenvielfalt ist jedoch
nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern hat auch
handfeste positive
Auswirkungen auf
Klima
und Lebensqualität: Grünflächen tragen durch Kühleffekte und
Schattenwirkung zur Anpassung an den Klimawandel bei und haben zudem
positive
Auswirkungen auf die Gesundheit der Anwohner.
Die Leipziger Untersuchung entstand innerhalb des
EU-Forschungsprojektes PLUREL, in dem Auswirkungen von
Landnutzungsänderungen in europäischen Stadtregionen
untersucht werden. Die Untersuchung basiert auf Zukunftsszenarien, die
sich sowohl auf die gesamteuropäische Ebene als auch auf die Ebene von
Fallstudien
(die Städte Leipzig, Manchester, Warschau, Montpellier, Den Haag, Koper
in Europa und die Stadt Hangzhou in China) beziehen. Zwar befinden sich
viele Stadtregionen
in einem Spannungsfeld zwischen Wachstum und Schrumpfung, dennoch gilt
generell: Durch neue Einfamilienhausgebiete und Gewerbeflächen "auf der
grünen Wiese" werden
immer mehr natürliche und naturnahe Flächen versiegelt. Die Folgen sind
vor allem negative Auswirkungen auf die umgebenden Ökosysteme, aber
ebenso auf die
Lebensqualität der Einwohner.
Die Vereinten Nationen haben 2010 zum internationalen
Jahr der biologischen Vielfalt erklärt. Ziel ist es, dass Thema
biologische Vielfalt
mit seinen vielen Facetten stärker in das öffentliche Bewusstsein zu
rücken. Mit seiner Expertise trägt das UFZ dazu bei, die Folgen und
Ursachen des Biodiversitätsverlustes zu erforschen sowie
Handlungsoptionen zu entwickeln. Mehr dazu erfahren Sie unter:
http://www.ufz.de/index.php?de=16034
UFZ-Spezial "Biodiversität"
Die Biodiversitätsforschung in Deutschland ist auf zahlreiche
Institutionen wie Hochschulen, außeruniversitäre Einrichtungen und
Ressortforschung bis hin zu Naturschutzverbänden und Firmen verteilt.
Das Netzwerk-Forum zur Biodiversitätsforschung, ein Projekt im Rahmen
von DIVERSITAS-Deutschland, möchte der Forschungs-Community deshalb eine
gemeinsame institutionsunabhängige Kommunikationsstruktur
und -kultur anbieten. Mehr dazu erfahren Sie unter:
http://www.biodiversity.de